Unser „Steinzeit“-Baby
Jedes Baby ist perfekt
Ja, es gibt sie. Babys, die nachts nur 1- oder 2-mal aufwachen, tagsüber alle 4 Stunden gestillt werden möchten und den Rest des Tages seelenruhig im Stubenwagen oder Babybettchen verbringen. Sie schlafen friedlich im Kinderwagen und sind auch sonst sehr „pflegeleicht“.
Ja, manch ein Baby ist so. Aber die meisten Babys verhalten sich ganz anders. Sie wachen auf, sobald man sie irgendwo ablegt, sie sind nur auf dem Arm ruhig und zufrieden (wenn überhaupt), wollen gefühlt pausenlos gestillt werden und schlafen nachts unruhig und nie länger als 2 Stunden am Stück. Aber warum? Was unterscheidet diese Babys von den scheinbar „perfekten“ Babys, die allem Anschein nach immer zufrieden sind?
Blicken wir auf unsere Geschichte, wird schnell klar, warum sich die meisten unserer Babys so ganz anders verhalten, als wir es anfangs gedacht hätten. Denn eigentlich haben wir bereits „perfekte“ Babys.
Unser „Steinzeit“-Baby
ALLE unsere Babys sind perfekt. Jedes auf seine eigene, besondere Art. Unser Problem kommt daher, dass wir häufig eine andere Vorstellung davon haben, wie das Leben mit Baby so sein wird. Unsere Kultur ist es, die es uns manchmal so schwer macht.
Das biologische System, mit dem unsere Babys auf die Welt kommen, stammt noch aus einer Zeit in der wir als Jäger und Sammler umherzogen. Und unsere Babys sind immer noch so gebaut, als würden wir das auch heute noch tun. Wenn sie auf die Welt kommen, wissen sie (noch) nicht, dass wir mittlerweile in sicheren Häusern leben und kein gefährliches Raubtier in der Nähe ist. Sie wissen auch (noch) nicht, dass wir die Heizung anmachen können, wenn uns kalt ist und sie somit keine Angst haben müssen zu erfrieren. Und sie wissen (noch) nicht, dass die Bezugspersonen nur einen Raum weiter sitzen und sofort wieder da sind, sollte das Baby aufwachen. Wenn sie das alles noch nicht wissen, warum also sollten sie sich anders verhalten?
Die Überlebenssysteme des Babys sind so eingerichtet, dass sie den ständigen Kontakt zu einer Bezugsperson suchen, damit sie nicht gefressen werden, auskühlen oder überhitzen, damit sie jederzeit genug Nahrung haben und damit sie nicht vergessen werden, wenn die Gruppe weiterzieht. Da unsere Babys physiologisch gesehen Frühgeburten sind, wollen sie ständig gestillt und getragen werden, damit sich Körper und Gehirn gut entwickeln. Das Verhalten, dass sie zeigen, liegt also in ihrer Natur. Es ist quasi überlebenswichtig.
Du möchtest noch mehr darüber erfahren, was ein Baby braucht, warum es sich nicht ablegen lässt oder was du tun kannst, um auch mal wieder etwas mehr Zeit für dich zu haben? Dann melde dich sehr gerne bei mir.
Unser Baby – eine perfekte Frühgeburt
Auch wenn unsere Babys reif geboren werden, sind sie physiologisch gesehen trotzdem Frühgeburten. Denn Mutter Natur hatte es ursprünglich ganz anders geplant. Wissenschaftler liefern heute folgende Erklärung:
vor langer Zeit fing der Mensch an aufrecht zu gehen. Dadurch musste sich der Körper des Menschen entsprechend anpassen. Das Becken bekam also ein starkes Muskelgeflecht: den Beckenboden. Damit kann der Oberkörper gut getragen werden. Um noch mehr Stabilität zu erreichen, verengte sich zusätzlich der Beckenknochen.
Zudem entwickelten wir unsere Großhirnrinde – unser Denkzentrum. Aus dem ehemals kleinen Affenhirn wurde nach und nach ein großes Organ und unsere Köpfe und die unserer Babys wurden stetig größer.
Aufrechter Gang >> kleineres Becken >> größere Köpfe >> Problem!
Während die Babys von Affen nach wie vor durch einen geraden und geräumigen Weg das Licht der Welt erblicken, zwängen sich unsere Babys durch einen verwinkelten und engen Geburtskanal. Die Lösung: Wir bekommen unsere Babys immer früher. Sie sind zwar noch nicht fertig (Wissenschaftler gehen von Schätzungen zwischen 3 und 9 Monaten aus), passen aber immerhin noch durch.
Mit dem Baby allein?
Wir wissen also, dass unsere Babys physiologisch gesehen Frühgeburten sind. Und wir wissen nun, warum sie sich ungern ablegen lassen und so oft gestillt werden wollen. Das bedeutet für uns, dass wir viel Zeit, Kraft und Energie in dieses Baby investieren müssen, damit es irgendwann aus eigener Kraft überlebensfähig ist. Aber wer hat gesagt, dass wir das alleine tun sollen?
Es war nie so vorgesehen, dass wir in Kleinfamilien leben. Früher – und bei den Naturvölkern ist es auch heute immer noch so – lebten wir in großen Gruppen zusammen. Jeder hat sich um jeden gekümmert. Es wurde einander unterstützt. Niemand war mit einem schreienden Baby allein. Es war nicht nur die Mutter, die das Baby stundenlang getragen hat. Die Gruppe hat sich abgewechselt. Sarah Blaffer Hrdy sagt, dass wir Menschen eine „kooperativ aufziehende Art“ sind. Wir sind darauf angewiesen, dass andere uns unterstützen und ihre Erfahrungen mit uns teilen.
Im Stamm der Lakota war jeder gern bereit, Kinder zu betreuen. Ein Kind gehörte nicht nur einer bestimmten Familie an, sondern der großen Gemeinschaft der Sippe. Sobald es gehen konnte, war es im ganzen Lager daheim, denn jeder fühlte sich als sein Verwandter. Meine Mutter erzählte mir, dass ich als Kind oft von Zelt zu Zelt getragen wurde und sie mich an manchen Tagen nur hier und da zu Gesicht bekam.
Häuptling Luther Standing Bear
Nein, wir müssen jetzt nicht zurück in den Dschungel oder in die Savanne. Aber wir können uns klarmachen, für welches Leben wir eigentlich gemacht sind. Mit einem schreienden Baby allein zu Haus? Das ist nicht etwas, für was wir gemacht sind. Klar, wir halten das aus. Aber dauerhaft?
Unterstützung wo es nur geht
Wir brauchen also Unterstützung – von Anfang an.
Unser Leben hat sich in den letzten 100 Jahren stark verändert. Viele von uns leben in Kern- oder Kleinfamilien. Hinzu kommen Lärm, Termine, ständiger Zeitdruck und lange Arbeitszeiten. Wir bewältigen tagtäglich so viele Aufgaben, für die unsere Biologie eigentlich gar nicht eingerichtet ist. Die Folge: wir empfinden unseren Alltag mit Baby und Kleinkind oft als anstrengend, sind dauergestresst und oft einfach nur müde.
Aber das liegt nicht an den Kindern. Sie verhalten sich ganz normal. Sie leben im Hier und Jetzt. Wir können Bedürfnisse nach Schlaf, Bewegung, Nahrung etc. aufschieben. Unsere Babys und Kleinkinder können das nicht. Aber sie teilen uns mit, ob sie die Situation, jetzt, in diesem Moment, als gut oder schlecht empfinden. Manchmal auch sehr laut.
Reflektion und Prioritäten
Hier hilft es, nochmal genauer hinzuschauen. Passt das Leben zu uns? Können wir etwas ändern – zum Wohle aller? Muss die Wohnung immer aufgeräumt sein, die Fenster geputzt? Kann uns jemand helfen und den Einkauf übernehmen? Oder mal einen Schwung Wäsche für uns waschen. Muss ich mit dem Baby unbedingt zu PEKIP und zum Babyschwimmen?
Was ist WIRKLICH wichtig?
Was brauche ICH?
Was braucht mein BABY?
Wie möchten wir leben?
Verwechsle Gewohnheit nicht mit dem, was natürlich ist.
Mahatma Gandhi
Wir haben die Wahl und können jeden Tag neu entscheiden, wie wir leben wollen. Manchmal genügen schon ganz kleine Veränderungen, die den Alltag einfacher machen. Wir können alte Gewohnheiten ablegen oder neue etablieren. Vielleicht genügt auch schon ein Anruf bei der besten Freundin, die uns anbietet, uns zu unterstützen. Denn oft ist es ein erster kleiner Schritt, der große Dinge zu bewegen vermag.
Du möchtest herausfinden, wie du deinen Alltag mit Baby einfacher gestalten kannst? Dann komm zu den offenen Treffen in Isny oder Kempten oder melde dich einfach so bei mir. Ich höre dir gerne zu und bin für dich da!
Nicolas Eltern-Energie-Erhaltungssatz
Ja, ein artgerechter Umgang mit unseren Kindern ist anfangs aufwendiger als ein nicht artgerechter. Wir stillen nach Bedarf, tragen unsere Babys viel, wir achten auf die Ausscheidungsbedürfnisse und kümmern uns auch sonst viel um die Erfüllung ihrer Bedürfnisse. Doch wir haben die Wahl! Wir können nämlich entscheiden, WANN wir diese ganze Arbeit in unser Kind stecken. Und am Anfang, wenn wir sowieso beseelt vom Babyglück sind, fällt es uns auch oft leichter, diese Energie dafür aufzubringen.
Der Eltern-Energie-Erhaltungssatz von Nicola Schmidt (artgerecht Projekt) macht es deutlich. Denn Babys, deren Bedürfnisse sehr früh bereits erfüllt werden, machen später weniger Arbeit. Denn
- gestillte Babys haben laut Studien weniger Infekte als ungestillte und später weniger Gewichtsprobleme
- Kinder zu tragen kann motorischen Entwicklungsverzögerungen vorbeugen
- Windelfrei-Kinder sind i.d.R. mit 24 Monaten sauber, während vollzeitgewickelte Babys da erst mit dem Sauber werden anfangen
- Babys und Kinder, die im Familienbett schlafen, schlafen meist besser
Der artgerecht® Ansatz kann uns letztendlich in unserem Alltag helfen (weniger Kinderarztbesuche, weniger Windeln, ruhigere Nächte etc.). Wir müssen unsere Energie nicht darauf verwenden, dem Kind während der Autonomiephase die Windel oder den Schnuller zu entwöhnen. Möglicherweise sitzen wir öfters beim Kinderarzt oder Logopäde. All das stresst und nervt uns, denn so langsam sollen die Kinder „ja auch mal aus dem Gröbsten raus sein“.
Darum: wenn wir sowieso immer die gleiche Energie reinstecken, warum nicht gleich am Anfang, wenn wir noch zu Hause sind und es uns durch die Hormone leichter fällt, uns um die Kleinen zu kümmern? Wie gesagt, die Energie, die wir investieren, ist immer die gleiche!