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Kleinkind

Kleinkinder

Kinder machen keine Fehler. Kinder lernen.

Susanne Mireau

Ein Kleinkind ist sehr zeitintensiv. Es will entdecken, sich ausprobieren, Spaß haben, soziale Regeln und Grenzen kennenlernen und vieles mehr. Gleichzeitig haben wir als Eltern oft gar nicht die Resourcen, unsere Kinder dabei zu begleiten. Und ist auch gar nicht vorgesehen. Von je her ziehen wir unsere Kinder gemeinsam groß. Es gab schon immer andere Spielkameraden, eine Oma, einen Onkel, eine Tante einen Cousin etc., der sich um das Kleinkind kümmert und Zeit mit ihm verbringt. Doch in unserer heutigen Welt bzw. Kultur steht uns diese Unterstützung häufig gar nicht mehr zur Verfügung. Dabei sind die ersten 1.000 Tage sehr wichtig für die Entwicklung des Kindes. Denn was in den ersten 1.000 Tagen passiert, prägt Kinder ein Leben lang.

Gerade in Hinblick auf Kooperation und Empathie entwickelt sich ein Kleinkind in den ersten 6 Jahren enorm.

ALTERENTWICKLUNG
ca. ab 24 MonateAltruismus
Ich helfe dir, auch wenn ich nichts davon habe (ist angeboren!)
ca. ab 36 MonateWeitreichender Altruismus
Ich helfe dir, auch wenn ich meine „Belohnung“ schon habe (hochentwickeltes soziales Verhalten),
z.B. ich helfe dir, nachdem wir gerade miteinander gespielt haben
ca. ab 4 JahreAnalytisches Denken
Unterscheiden zwischen echt und unecht
z.B. die Puppe gehört Mia, wenn ich sie haben will, sage ich, dass es meine Puppe ist
Beginn von Empathie (das Hineinversetzen in andere)
ca. ab 6 JahreEmpathie
Wenn ich Liam haue, dann tut es ihm weh!

Impulskontrolle
Ich bin sauer, aber ich haue trotzdem nicht – das ist ein lebenslanger Prozess
ca. zwischen 6 und 10 JahrenTheory of Mind
Ich glaube, das hat Liam gar nicht mit Absicht gemacht, also warum sollte ich ihn hauen?!
Vorleben: „Das kann schon mal passieren“ statt „Das hast du mit Absicht gemacht!“
ca. ab 10 JahreKulturelle Vorgaben und logisches Denken
In unserer Kultur haut man nicht, also lasse ich es, dann können wir weiterspielen
Konstruktive Reaktion auch unter Stress
Tabelle: Entwicklung eines Kleinkindes

Autonomie ist ein wichtiges Bedürfnis. Viele Kleinkinder fordern es sehr früh und sehr stark ein. Sie wollen vieles entscheiden und hassen es, wenn über sie bestimmt wird (was sie essen, was sie anziehen, wann sie schlafen sollen). Auf der anderen Seite gibt es Kinder, bei denen ist das Bedürfnis nach Autonomie nicht ganz so stark ausgeprägt, sondern das Bedürfnis nach Bindung. Diese Kinder neigen dazu, sich anzupassen und stellen – leider – ihre eigenen Bedürfnisse häufig zurück, um bloß nicht die Bindung zu verlieren. Hier ist es wichtig, diese Kinder zu stärken, sodass sie lernen, für ihre eigenen Bedürfnisse einzustehen und nicht immer zurückzustecken.

Unsere Kultur ist idealistisch geprägt und basiert auf Besitz (mein Handy, mein Auto … ). Das bringen wir unseren Kindern schon sehr früh bei. Gleichzeitig haben viele Eltern häufig ein Problem damit, wenn Kinder ihren Besitz (das Spielzeugauto, die Puppe…) nicht teilen möchten. Aber wir leben es ihnen schließlich vor. Unsere Kultur ist es, die Kinder so werden lässt, wie sie sind. Deshalb gilt: niemand muss teilen und wir sollten es außerdem unterlassen, unsere Kinder dazu zu überreden oder gar zu beschämen. Teilen sollte immer freiwillig sein. Nur so lernen die Kinder, dass ihre Grenzen respektiert werden und sind dadurch in der Lage, auch die Grenzen von anderen zu respektieren. Dies ist natürlich nur ein Aspekt von vielen. Es gibt noch viele andere Situationen, in denen wir die Grenzen unserer Kinder wahren und ihnen somit automatisch rücksichtsvolles Verhalten „beibringen“.

Hier in Deutschland leben wir eine Kultur der schuldorientierten Erziehung („Wer war das?“). Besser ist jedoch eine lösungsorientierte Erziehung („Was braucht ihr?“). Denn es spielt absolut keine Rolle, wer angefangen hat. Wir helfen unserem Kleinkind (und auch den älteren Kindern), Konflikte zu lösen. Auf eine verständnisvolle und wertschätzende Art. Denn wenn wir mit Bestrafungen und Beschimpfungen auf ungewolltes Verhalten reagieren, schaffen wir eine Atmosphäre aus Angst, Scham und Schuldgefühlen. Um das zu vermeiden nutzen Kinder häufig die Strategie des Lügens („Peter wars!“, „Ich war das nicht!“).

Kinder lügen, weil sie sich nicht in Sicherheit fühlen, wenn sie die Wahrheit sagen.

Alfie Kohn

Im Alter von ungefähr 4 Jahren setzt das sogenannte „bewusste Lügen“ ein. Kinder probieren sich aus. Möchten wissen, welche Konsequenz es hat, wenn sie nicht die Wahrheit sagen. Sie möchten wissen, wie wir reagieren und ob wir sie noch genauso lieb haben, wenn die Wahrheit dann doch ans Licht kommt. Kinder lügen auch, um sich damit Bedürfnisse zu erfüllen. Was auch immer der Grund ist, warum ein Kind lügt: wie wir darauf reagieren ist wichtig.

Natürlich kann ich meinem Kind in einfachen Worten erklären, warum mir wichtig ist, dass wir uns immer die Wahrheit sagen. Gleichzeitig darf ich Verständnis zeigen und Empathie schenken („Du wolltest so gerne mit der Puppe von Mia spielen!“). Eine Kommunikation ohne Verurteilung, ohne Schimpfen und ohne Bestrafung hilft dem Kind sehr in seiner persönlichen Entwicklung.

Das ist eine ganz natürliche und vor allem UNBEWUSSTE Reaktion des Kindes. Wenn das Kind etwas tut, hat das Konsequenzen, z.B. der Fußboden ist dreckig, wenn ich den Teller mit dem Essen runterwerfe. Und es knallt dabei noch so schön!". Durch dieses Selbstwirksamkeitserfahrung wiederrum wird im Körper Dopamin ausgeschüttet, was das Lächeln oder Lachen bewirkt.
Zunächst einmal muss uns klar sein, dass die Impulskontrolle erst im Alter von ungefähr 6 Jahren eintritt. Davor handeln Kinder einfach aus einem reinen Impuls heraus. Wenn sich Kinder nun häufig streiten, liegen in der Regel unerfüllte Bedürfnisse zugrunde. Das kann Fairness sein, das Bedürfnis nach Ruhe, Bewegung, Nahrung etc. Darum gilt es zunächst herauszufinden, was die Kinder brauchen ("Was brauchst du?" statt "Wer hat angefangen?")
In unserer Kultur haben die Kinder in der Regel kaum Möglichkeiten, ihre Agression auszuleben. Bei den Naturvölkern sehen wir, dass Kinder ab einem Alter von ca. 4 Jahren beginnen, zu jagen und zu töten anfangen. Ihr Forscherdrang ist dann so groß, dass sie gerne Tiere auseinander nehmen, Blumen pflücken und zerlegen, die Welt entdecken wollen. Geben wir ihnen einen Rahmen, in denen sie all das ausleben können, wird das natürliche Bedürfnis erfüllt. Und sobald die Bedürfnisse nach elementaren Erlebnissen erfüllt sind, gibt es auch weniger Stress.
Zunächt einmal gilt, einzugreifen und die Kinder zu schützen. Ggf. muss das eigene Kind dabei auch festgehalten werden. Der Schutz der Gruppe hat Priorität. Wir helfen dem Kind, sich zu regulieren. Wir halten es und helfen ihm sich zu beruhigen. Danach sprechen wir mit unserem Kind, ohne Vorträge zu halten. Wir sagen nicht "Du weißt doch, dass du das nicht darfst!" sondern versuchen es mit Empathie ("Du hast dich gerade richtig geärgert, oder?" / "Hat dir das Spaß gemacht, mit dem Stock auf Peters Kopf zu hauen? Hast du dich da stark gefühlt? Schau, das hat Peter weh getan. Er weint."). Und ja, manchmal kann es auch notwendig sein, mit dem Kind den Ort des Geschehens (z.B. Spielplatz) zu verlassen, wenn das Kleinkind heute nicht in der Lage ist, sein Verhalten zu steuern.
Konsequent sein wird leider oft mit Bestrafung verwechselt. Wenn ich meinem Kind sage: "Wenn du jetzt nicht aufräumst, dann gibt es heute abend keinen Sandmann im TV" und das Kind dann nicht aufräumt, dann hat das Fernehverbot nichts mit Konsequenz im eigentlichen Sinne zu tun, sondern ist eine Bestrafung für ein Verhalten, das mir missfällt.   Konsequenz ist, wenn ich sage, "Vor dem Abendessen gibt es nichts Süßes zu essen" und mich - konsequent - daran halte. Doch der Alltag sieht manchmal eben anders aus. Manchmal sind unsere Ressourcen aufgebraucht, um dann einen Gefühlssturm des Kindes durchzustehen. Und manchmal sind es auch die Ressourcen den Kindes, die es unmöglich machen, noch weitere 10 Minuten zu warten, bis es endlich etwas zu essen gibt.   Ist das Kind - und wir - also in einer guten Verfassung, halten wir die Regeln ein. Ist das Kind - und wir - hingegen in einer schlechten Verfassung, können wir die Regel auch schonmal brechen.   Es ist eine absolut situationsabhängige Entscheidung. Wichtig ist jedoch: eine Ausnahme sollte auch so kommuniziert werden: "Du hast recht. Ich habe auch so unglaublich großen Hunger und brauche jetzt auch erstmal einen Keks."